Meister Michele Santoro, 5. DAN

 

Mit großer Bestürzung mussten wir am 13.06.2010 erfahren, daß unser großer Meister Michele Santoro im Alter von nur 59 Jahren seinem jahrelangen Krebsleiden erlegen ist.

 

Michele Santoro wurde am 26.10.1950 in Monte Sant´Angelo bei Manfredonia, Provinz Foggia, im süditalienischen Apulien geboren und wuchs in Manfredonia auf. Früh interessierte er sich für Kampfsport. In seiner Heimatstadt gab es leider damals keinerlei Kampfsporterfahrene oder Lehrer.

 

1970 kam er nach München, wo er sich als selbstständiger Schreiner durch seinen Fleiß und seine exakte Arbeitsweise schnell etablierte.

Hier konnte er auch erstmals ein professionelles Kampfsport-Training besuchen und begann sofort mit Karate. Seine Leidenschaft für den freien Kampf und seine Begabung für Fußtechniken und Sprünge führten ihn jedoch schnell zum gerade aufblühenden Taekwon-Do, das die ersten koreanischen Meister seit 1968 in München und im gesamten Süddeutschland zu verbreiten suchten.

Schon als Gelbgurt bestritt er mit größtem Erfolg Kämpfe gegen etablierte Schwarzgurt-Träger, so daß die Meister schnell auf ihn und sein Talent aufmerksam wurden. Bald war das Taekwon-Do sein bestimmender Lebens-Inhalt.

Er trainierte unter anderem bei Meister Park Soo-Nam, Ko Eu-Min und vielen anderen namhaften Koreanern.

Seine intensiven Kontakte zu den ursprünglichen Meistern, die seinen Wissensdurst, seine Beharrlichkeit, seinen Eifer und seine Genauigkeit schätzen gelernt hatten, führten ihn schließlich zu Großmeister Seo Yoon-Nam, 9. DAN.

 

Durch intensivstes Training, dessen Umfang und Härte man sich in der heutigen Zeit kaum noch vorstellen kann, erarbeitete sich Meister Santoro den Respekt seiner Lehrer und eine intensive Verbindung zu Großmeister Seo als Meisterschüler und guter Freund.

Meister Santoro ging durch eine Lehre, wie sie früher nur in Korea selbst absolviert wurde und reifte daher schneller als andere zu echtem Können.

Gepaart mit seiner sprichwörtlichen Güte und Umgänglichkeit machten seine Leistungen und Wettkampferfolge den sympathischen Italiener zum Freund vieler großer Meister und bekannter Persönlichkeiten. Seine guten Beziehungen konnte er in unzähligen Treffen und Lehrgängen vertiefen.

 

Seine Liebe zum Detail, seine absolute Bescheidenheit und seine Genauigkeit gab er auch an seine Schüler weiter, für die er 1981 einen Dochang in Pliening bei München gründete. Aus Respekt vor seinem Meister eröffnete er keine Schule in München selbst, sondern eroberte das Münchner Umland für Taekwon-Do.

Als die Schülerzahl unaufhaltsam wuchs, wechselte er 1985 nach Erding, wo er mit eigenen Händen und Dank seiner Fähigkeiten als Schreiner-Meister aus einer alten Fabrikhalle für Getränke eine Trainingshalle und Taekwondo-Schule entstehen ließ. Mit aufwendigsten Umbauten, die er auch später immer weiter verbesserte, baute er einen geräumigen Dochang mit Umkleiden, Duschen, Theken, Bürobereich und komplett ausgestattetem Fitness-Studio aus. Die Schule führte er von 1990 bis 2005 zusammen mit seinem Bruder Pietro, der ihm erst nach Deutschland und dann auch zum Taekwon-Do folgte.

Entsprechend seiner ihm eigenen Bescheidenheit erschuf er aber keinen hochtrabenden Tempel, sondern erstellte äußerst zweckmäßige Trainingsräume, in denen er im Lauf der Zeit weit über 900 Schüler in die hohe Kunst des Taekwon-Do einführte.

 

Weit über die Stadt– und Landkreisgrenzen hinaus bekannt wurde die Schule Erding mit zahlreichen Shows und Vorführungen bei allen nur denkbaren Gelegenheiten, vor allem aber immer wieder im Programm der vielen verschiedenen Festakte zur Eröffnung des neuen Flughafen München im Erdinger Moos.

Dabei zeigte Meister Santoro atemberaubende Bruchtests, die ihresgleichen suchten und ihn schließlich auch dem Fernsehsender RTL bekannt machten, der mit ihm eine Sendung plante. Das Zerschlagen eines Flußkiesels in Handtellergröße mit Faust, Innenhandkante und Handkante oder Reihenbruchtests an Kokosnüssen machte zu dieser Zeit kaum ein Anderer in Deutschland nach.

Zahlreiche Schüler haben bei Meister Santoro die Kunst des Taekwon-Do erlernt. Viele davon waren später sehr erfolgreich, teilweise auch in anderen Kampfsportarten. Sehr viele seiner Schüler konnten auch durch ihn die Prüfung zum DAN-Träger ablegen, einige davon gründeten wiederum eigene Schulen.

Ein alter Spruch aus Asien lautet: „Ein wahrer Meister ist nicht der, der viele Schüler hat, sondern der, der viele Meister hervorbringt.“

Das ist Meister Santoro aufs Beste gelungen.

 

Mitten in der Vorbereitung für die Prüfung zum 6. DAN erfuhr Meister Santoro erstmals vor 4 Jahren von seiner Erkrankung.

Trotz der anschließenden sehr anstrengenden Behandlungen und Chemo-Therapien versuchte der Meister, den Trainingsbetrieb ungestört weiter laufen zu lassen. Er wurde dabei vor allem von Thomas Langbein, Christian Romeis und Manuel Klenner, aber auch von vielen anderen seiner Schüler unterstützt.

Wie schwerwiegend seine Erkrankung war, ließ er nur einen sehr kleinen Kreis von Vertrauten wissen, seine Schüler merkten kaum etwas davon.

 

Obwohl schon fast am Ende seiner Kräfte, zeigte er bei der Feier zum 25-jährigen Jubiläum der Schule Erding noch einen Bruchtest am Flußkieselstein. Sein Durchhaltewille, seine enorme innere und äußere Kraft ließen ihn seine Krankheit sehr zum Erstaunen seiner Ärzte sehr lange aushalten.

Als seine Kraft zu Ende ging und er alles Nötige geregelt hatte, konnte noch sein letzter Wunsch erfüllt werden: Ein Flugzeug brachte ihn zu seiner Familie nach Manfredonia , wo er seine letzten Stunden im Kreis seiner geliebten Familie verbringen durfte.

Meister Santoro hinterläßt zwei Söhne (37 und 27 Jahre) und eine Tochter (28 Jahre).

 

Es gibt nicht genug Worte, um zu beschreiben, welche Lücke sein Tod hinterläßt. Er lehrte vielen, vielen Menschen nicht nur Taekwondo, sondern durch sein einmaliges Vorbild auch das Leben in seiner besten Art. Wir alle verloren einen der wirklich großen Meister und einen guten Freund.

Er wurde in seiner Heimatstadt Manfredonia in Süditalien unter großer Anteilnahme vieler Trauergäste, darunter auch zwei seiner Schüler, beigesetzt.

 

Sein Vermächtnis für diese Welt ist seine Schule und seine Lehre.